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To lead Europe Germany needs to come to terms with its crucial role in it – op-ed in Der Freitag (in German & in English), 21 SEP 2017

21/09/2017 by

Wahlkampf Die deutsche Rolle in Europa war kaum ein Thema – als werde alles so bleiben, wie es ist. Das aber ist ein Irrglaube
Yanis Varoufakis Ausgabe 38/2017  16 [For the English language original please scroll down.]
Happy Germany

Der Mitgründer der Bewegung DiEM25, Yanis Varoufakis, bemängelt die deutsche Selbstbezogenheit im Wahlkampf

Foto: Pacific Press Agency/Imago

Es ist normal, dass sich nationale Wahlen auf nationale Themen konzentrieren. Nicht so für Deutschland. Dessen Rolle in Europa ist derart zentral, dass es sich selbst gegenüber die Pflicht hat, öffentlich darüber nachzudenken und Vorschläge für die Zukunft der EU zu formulieren. Stattdessen verblüffte der nun zu Ende gehende Wahlkampf mit einer Selbstbezogenheit, die keinen ernsthaften Diskurs über Europa und die Eurozone zuließ. Es wurde weitgehend ausgeklammert, was Berlin tun muss, um vor allem das wirtschaftliche Umfeld zu stabilisieren, in dem die Deutschen leben und von einer besseren Zukunft träumen wollen.

Unter Pro-Europäern ist es üblich, die Provinzialität politischer Debatten in Großbritannien zu rügen und zu behaupten, eben das hätte zum Brexit geführt. Wer diese Kultur pflege, bewirke zudem einen EU-Ausstieg, der den Interessen der Bürger dort, besonders denen junger Briten, entgegenstehe. Genügte der deutsche Wahlkampf höheren Ansprüchen? Politiker trafen bei Fernsehtalks aufeinander, hielten Reden und schrieben Artikel, als läge Europa irgendwo weit draußen und gehe die Wähler nicht wirklich etwas an.

Deutsche Freunde, die sich in ihrem Land auskennen, erzählen mir, dass Angela Merkel erneut triumphieren werde, weil die Deutschen ihr zutrauen, sie vor „all dem Schlechten“ zu beschützen, das anderswo in Europa passiert. Das Gefühl „Deutschland geht es gut“ werde wegen des pragmatischen Vermögens der Kanzlerin, den Status quo zu bewahren, die Wahl entscheiden. Dieser Glaube basiert auf einer Annahme, die so falsch wie gefährlich ist: dass sich Deutschlands Wohlstand trotz aller widersprüchlichen Dynamik, von der die Europäische Union erfasst ist, reproduzieren lasse. Berlin müsse nur dafür sorgen, dass die „Regeln“ strenger durchgesetzt werden.

Die größte Gefahr, die von einem solchen Fehlurteil ausgeht, besteht für die nachwachsenden Generationen. Junge Deutsche wollen europäische Bürger sein, europäische Grenzen passieren und sich in Italien als Italiener, in Frankreich als Franzosen und in Griechenland als Griechen fühlen. Eine großartige Ambition, die gefördert und verfeinert werden muss. Sie entspricht dem Geist eines radikalen Internationalismus, wie ihn unsere Bewegung DiEM25 (Democracy in Europe Movement) verkörpert. Leider wird dieser Idealismus von Wahlkampfmustern aufs Spiel gesetzt, bei denen Politiker, die womöglich demnächst eine Regierung stellen, das falsche Signal senden, Deutschland könne mehr oder weniger so bleiben, wie es ist, in einem Europa, das mehr oder weniger so bleibt, wie es ist.

Mehrere Jahrzehnte lang konnte die Bundesrepublik das Privileg genießen, die für Effizienz und Qualität zuständige Werkhalle Europas zu sein und sich entsprechend benehmen zu können. Dieses Renommee war auf die Tatsache angewiesen, dass ein anderer diesem Vorzeigebetrieb genügend Nachfrage verschaffte: die Vereinigten Staaten. Von Beginn der 1950er Jahre bis 2008 war es die Freiheit Amerikas von jeder Defizitangst, die dafür sorgte, dass deutsche, niederländische, japanische, später auch chinesische Fabriken ihre Produkte ausstoßen und Käufer mit genügend Geld finden konnten, die ihnen mehr als die Produktionskosten bezahlten.

In jener Zeit, als der US-Markt unbegrenzt aufnahmefähig schien, ereignete sich das deutsche Wirtschaftswunder und ermöglichte den Aufstieg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Bis heute betrachten Europäer die später daraus hervorgehende EU gern als europäische Errungenschaft. Sicher kann man darauf stolz sein, in Wahrheit jedoch waren es die Amerikaner, denen ein makroökonomisches Umfeld zu verdanken war, das Europa und Deutschland zu Wohlfahrt und Prosperität verhalf. Es war diese Welt, in der Ordoliberalismus einen Sinn ergab.

Leider verloren die USA 2008 die Fähigkeit, noch genügend Nachfrage für Volkswirtschaften zu generieren, deren Wirtschaftsmodell bis dahin auf großen Handelsüberschüssen basierte. Das bedeutet inzwischen, Deutschlands altehrwürdige Weigerung, die USA innerhalb Europas als Manager in Chief der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu ersetzen, muss früher oder später die eigene Wirtschaft erschüttern. Wird dem nicht Einhalt geboten und in Deutschland der Konsum gestärkt im Sinne europäischer Verantwortung, wird die gesamte EU dadurch Schaden nehmen. Und viele junge Deutsche daran hindern, sich ihren Traum von einem Dasein als europäische Bürger zu erfüllen.

Aus diesem Grund muss der Ordoliberalismus, dessen Zeit abgelaufen ist, verworfen und durch eine fortschrittliche, makroökonomisch vernünftige, gesamteuropäische Wirtschafts- und Sozialagenda ersetzt werden. Wenn ich einen Blick auf das gegenwärtige Parteientableau werfe, sind die einzigen politischen Kräfte, die mit dieser Einschätzung erkennbar übereinstimmen, die Linkspartei, wie sie von Katja Kipping vertreten wird, und Elemente der Grünen, die noch nicht von den ordoliberalen oder Pro-Diesel-Lobbyisten in ihrer Partei vereinnahmt wurden.


To lead Europe Germany needs to come to terms with its crucial role in it

Yanis Varoufakis

DiEM25 co-founder, Professor of Economics at the University of Athens and former finance minister of Greece

National elections naturally concentrate on national issues. But Germany, whose role in Europe is absolutely pivotal, had a duty to itself vigorously to debate its role in, and proposals for, shaping Europe’s future. It is, thus, greatly disappointing that the federal election campaign now drawing to a close has been so parochial, so empty of any serious debate on Europe, on the eurozone, on all that Berlin needs to do to stabilise the political and economic environment in which Germans live and dream of a better future.

It is commonplace amongst Europeanists to admonish the provincialism of the political debate in Britain that not only yielded Brexit but also ensured a process of leaving the EU that is detrimental to the interests of the people of Britain, especially the young. But was the quality of the debate during this German election debate any better? Politicians clashed on radio and television, delivered speeches to their constituents, wrote articles in newspapers as if Europe was something ‘out there’ that did not really concern them.

German friends with their finger on German society’s pulse tell me that Mrs Merkel will be returned because they trust her to insulate them from the ‘bad stuff’ happening elsewhere in Europe. The feeling that “Germany is doing alright” under the Chancellor’s pragmatic project of maintaining the status quo is what will prevail on Election Day. However, this belief is predicated upon a dangerously false assumption: that Germany’s stability and prosperity can be reproduced within the European Union’s current dynamic, as long as Berlin manages to impose the ‘rules’ more strictly.

The greatest threat from this misconception is falling upon the youth of the country. Young Germans crave to be good citizens of Europe. They want to traverse European borders and feel that they are Italians in Italy, French in France, and even Greeks in Greece. This is a splendid sentiment which must be encouraged and honed. It is, indeed, in concert with the spirit of radical internationalism that our Democracy in Europe Movement, DiEM25, espouses. Alas, it is a sentiment that the current pre-election debates put in jeopardy by giving the politicians who will be in government soon the false signal that Germany can stay more or less as she is in a Europe that stays more or less as she is.

For several decades, Germany had the privilege of being free to allow itself to behave as Europe’s gleaming, efficient, quality-product producing workshop. And so it was, and remains. However, this privilege, this freedom, was underpinned by the fact that someone else was securing enough global demand for Europe’s quintessential workshop: the United States of America. Between the early 1950s and 2008, it was America’s freedom from deficit-phobia that created enough global demand for German, Dutch, Japanese and, later, Chinese factories to keep churning out their products and find buyers for them with enough money to pay above-cost prices.

It was during those times, when global demand was managed by America, that the German economic miracle took place and the European Union was made possible. We Europeans love to think of our Union as a European achievement. While we can be proud of it, the truth is that it was the Americans who provided the macro-economic environment in which the miracles of Europe and Germany could flourish. It was in that world that ordoliberalism made sense.

Alas, in 2008 the United States lost its capacity to keep stirring up enough demand for the net exports of the economies basing their economic model on large trade surpluses. Which means that Germany’s time honoured refusal to replace the United States, at least within Europe, as the manager-in-chief of aggregate demand will sooner or later destabilise the German economy. The roots of this discontent are already growing into forests of disgruntlement around Europe. Left unattended, their poisonous blossoms will prevent young Germans from fulfilling their dream of a pan-European citizenship.

This is why it is so very pressing that ordoliberalism, whose time has passed, must be abandoned and be replaced by a progressive, macroeconomically sensible, pan-European economic and social agenda. Casting an eye on the current political terrain, hours before the polls open, the only political forces that I see as being in tune with this are Die Linke, as personified by Katja Kipping, and elements of the Greens who have not yet been co-opted by the ordoliberal or pro-Diesel lobbies within that party.

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